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Matches sammeln ist wie Pokémon fangen – Digitale Liebe

Liebe in der Digitalisierung

Matches sammeln ist wie Pokémon fangen – Digitale Liebe

Was haben Pokèmon Go und Dating Apps gemeinsam? Es macht Spaß sie zu spielen. Wir haben den digitalen Dating-Markt für euch durchleuchtet: Warum sind Nutzer*innen auf Dating Apps? Warum enden Beziehungen früher? Was hat der Kapitalismus mit meinem Dating-Verhalten zu tun?

 

 

Für viele meiner Freund*innen war einer der ersten Amtshandlungen nach dem 18. Geburtstag, sich ein Profil bei Tinder zu erstellen. Ich selbst bin nie dazu gekommen, mir eine Dating-App herunterzuladen. Nicht weil ich das Konzept abgelehnt habe, sondern weil sich mein Beziehungsstatus seit ich 17 war nicht verändert hat.

 

Eines Abends hat mir meine Freundin erlaubt, mit ihrem Handy auf Tinder zu swipen. Das hat erstaunlich viel Spaß gemacht. Ich durfte bewerten, begutachten und liken. Und dann folgt die spannende Frage – wird es ein Match? Das ist ein bisschen wie Pokémon fangen.

Am meisten habe ich mich dann darüber gefreut, dass der lokal bekannte, erfolgreiche Jungunternehmer, mit dem Profil meiner Freundin gematcht hat. Zack – das scheinbar seltene Pokémon wurde erfolgreich gefangen. Was für ein absurder Gedanke.

 

Die Absicht einer der Matches anzuschreiben, geschweige denn auf ein Date zu gehen, hatte sie nicht. Warum?

 

Ich will Antworten! Warum macht Tindern so viel Spaß und wie kam es dazu, dass wir Partner*innen wie Pokémon fangen wollen? Zu unserer Mission #love4future habe ich mich also in die Tiefen von Google Scholar begeben. Für euch habe ich alles über die Soziologie, Psychologie, Technologie und Ökonomie, die hinter den Veränderungen in unserem Dating-Verhalten stecken, herausgefunden. Es folgen Faktenchecks, Erfahrungsberichte und Aha-Momente.

 

Ist unsere Generation beziehungsunfähig?

Warum enden Beziehungen häufiger und öfter, als es im 20. Jahrhundert der Fall war? Der Angeklagte: der Kapitalismus. Eine Wirtschaftsform hat etwas mit unseren Beziehungen zu tun? Das klingt erst mal komisch. Bis ins 20. Jahrhundert hinein, wurden viele Ehen aber aus wirtschaftlichen Gründen geschlossen. Etwa um seinen Stand in der Gesellschaft aufrecht zu erhalten.

 

Liebe vor 80 Jahren

Liebe und Beziehungen vor 80 Jahren waren stärker gesellschaftlich geprägt.

 

Also, was machen der Konsum-Kapitalismus und die Digitalisierung mit uns? Sind wir alle gefühlskalte Sexmonster geworden, die die Löcher in ihren Herzen versuchen mit kurzlebigen Kaufräuschen und Produkten zu stopfen? So zumindest lassen es zahlreiche Artikel vermuten, aber was ist da dran?

 

In Geschäften und vor allem im Internet gibt es eine riesige Auswahl an Angeboten. Da muss man erst mal durchblicken. Wir fangen an zu Vergleichen: Stimmt das Preis-Leistungs-Verhältnis? Passen die Schuhe zu mir? Welche Farbe hat der kleine Sticker auf dem Apfel? Was passiert da psychologisch? Wir kommen in einen Sog, der bei der Neugierde beginnt und beim Bedürfnis endet, es haben zu wollen – wie bei einem Kaufrausch.

 

Wir alle haben zwar andere Auswahl-Kriterien, doch immer steckt die Hoffnung dahinter, das perfekte Produkt zu finden, was am besten zu meinen persönlichen Bedürfnissen passt. Oft scheint es aber ein Ding des Unmöglichen zu sein, genau das zu finden, wonach wir suchen. Wir sind also immer auf der Suche nach einem noch besseren Angebot.

 

Soziolog*innen wie Eva Illouz gehen davon aus, dass wir dieses erlernte Konsum-Verhalten auch bei unserer Partner*innen-Suche anwenden. Wir vergleichen und sortieren, um den oder die perfekte Partner*in zu finden. Wer Mängel aufweist, wird aussortiert. Jeder hat seinen ganz eigenen Katalog an genauen Vorstellungen, was eine Person vorweisen muss, um als Partner*in in Frage zu kommen. Das Ganze beruht aber auf Gegenseitigkeit.

Liebesanzeige schalten auf dem Dating-Markt

 

Ein Produkt bei einem Onlineshop kann sich natürlich nicht seine*n Käufer*in aussuchen. Die Marketingabteilung der Firma sorgt aber dafür, dass es bei der richtigen Kund*in ankommt. Auf dem Dating-Markt muss jeder für sich selbst Werbung machen. Dating-Plattformen sind dafür auch perfekt geeignet! Man kann eine Anzeige schalten, um sich auf dem Dating-Markt zu positionieren.

 

In ein paar Schritten sitzt dann die perfekte Anzeige. Als erstes werden die schönsten Fotos hochgeladen. Nicht sexy genug? Kein Problem, mit Beauty-Filter wird dein Profil aufgewertet. Dann geht es an eine Biografie. Die sollte etwas über die Persönlichkeit aussagen: Hobbies, Musik, Was mal liebt, was man nicht mag. Vor allem aber, soll es gut ankommen.

Fast geschafft, fehlen nur noch Sternzeichen, ob man Fleisch isst und das Lieblings-Getränk. Momentchen mal, warum will das Gegenüber denn etwas über mein Konsum-Verhalten erfahren?

 

Jetzt kann das Swipen losgehen! Jedes Match macht glücklich, die Anzeige läuft gut. Sind es zu wenige, schlägt das auf das Selbstwertgefühl. Es geht also immer ums Bewerten und möglichst gut bewertet zu werden. Aber auch wer keine Tinder-Anzeige schaltet, ist nach Illouz nicht davon befreit. Wir alle werden ständig nach unserer sexuellen Leistungsfähigkeit oder „Sexyness“ bewertet. Je sexier du bist, desto höher würde dein soziales Ansehen steigen.

 

Das klingt fast wie eine neue Art der Ständegesellschaft im Mittelalter wo Ritter Prinzessinnen heiraten konnten und Prinzessinnen Prinzen – also immer nach oben. Jungfräulich und aus gutem Hause? Das sei dem modernen Mann und der modernen Frau mittlerweile egal. Viel wichtiger ist, wie sexy du bist. Auf dieses Bewertungssystem baut aber auch unser individuelles Selbstwertgefühl auf.

 

Fühlst du dich nicht sexy genug? Kein Problem, der Markt hat allerlei Produkte parat, die dir angeblich dabei helfen, dich begehrenswerter zu machen. Unternehmen profitieren also von deinen Unsicherheiten, die durch einen neuen sozialen Druck kreiert wurden.

 

Suchen alle nur Sex auf Dating-Apps?

Um auch die richtigen Leute anzusprechen, wird ins Profil geschrieben, was man sucht. Das kann Etwas zwischen unverbindlichem Sex, Dreier, Freundschaft oder Beziehung sein. So steht es zumindest in den Biografien.

 

Bei einer in 2020 veröffentlichten Studie wurden Tinder-Nutzer*innen aus Deutschland und Dänemark befragt, weshalb sie die App überhaupt nutzen.

 

44% gaben an, nach einer Beziehung zu suchen und nur 33% suchten nach sexuellen Erfahrungen. Männer gaben häufiger als Frauen an, dass sie sich von der App unverbindlichen Sex erhoffen. Mit 37% gibt es mehr Nutzer*innen, die nach sozialer Anerkennung suchen, als Nutzer*innen die Sex wollen.

 

Vielleicht sind wir also doch nicht zu Sex-Monstern mutiert. Trotzdem ist unser Selbstwertgefühl stark von der Anerkennung und Bestätigung anderer abhängig. Warum? Weil wir soziale Wesen sind und in unserer Gemeinschaft „geliebt“ werden wollen. Kurz: Wir wollen dazugehören.

 

„Ich bin begehrenswert, also bin ich.“ – Adelheid Müller-Lissner (Der Tagesspiegel)

 

45% der Tinder Nutzer*innen swipen um sich die Zeit zu vertreiben! Anstatt Candy Crush zu spielen, wird also gewischt. Die Dating App ist aufgebaut wie ein Spiel. Mit Gamification wurde das Online-Dating noch attraktiver gemacht. Der Algorithmus will die Nutzer*innen so lange wie möglich auf der App halten und dabei geht es gar nicht darum, wirklich ein Date zu finden. Nach einem Match wird man dazu verleitet weiterzuswipen.

 

„Es ist die Belohnung wie bei einem Glücksspiel, der Dopaminrausch, wenn auf dem Bildschirm ,It’s a match‘ steht, eine variable Belohnung, die uns dazu anregt immer weiter zu swipen, um diesen Rausch erneut zu erleben.“ – Scott Hurf in „Designing Products People Love“ (Designer bei Tinder)

 

Ist es schlimm, dass Beziehungen öfter enden?

 

 „All diese wabernden Beziehungsformen, deren Status sich von offen zu fest, von fest zu offen, von verbindlich zu unverbindlich ändern, kann sorgen für emotionale Verwirrung und Ungewissheit.“ – Silke Weber (Der Spiegel)

 

Augmented Reality Stories

Unser Tipp: Wabernde Beziehungsformen findest du übrigens auch in unserer AR-STORY Liebe-Vielfalt

 

Wir sind nicht mehr dazu gezwungen, die nächstbeste Person zu heiraten. Der Druck, das Bild einer klassischen Ehe zu erfüllen, wird immer geringer. Klar, damit geht auch Orientierung und Verbindlichkeit flöten. Aber warum wird denn nicht für mehr Repräsentation und Vielfalt von verschiedenen Arten von Liebe gesorgt?

 

Nur weil Ehen früher nicht geschieden wurden, heißt das nicht, dass sie glücklicher waren. Sie hatten kaum eine andere Wahl. „Partnerwahl und die Entscheidung für eine Ehe sind heutzutage von gesellschaftlichen Zwängen befreit und durch persönliche Bedürfnisse, Liebesgefühle und intrinsische Motive bestimmt“ – Psychologin Lisa Fischbach

Das liegt auch daran, dass die Frau wirtschaftlich nicht unbedingt mehr abhängig vom Mann ist.

 

Sozialen Druck gibt es trotzdem heute noch. Frau muss zwar nicht unbedingt mit Mann zusammenbleiben, um abgesichert zu sein und Kinder zu bekommen – Männer übrigens auch nicht.

Beide sollten dafür aber „sexy“ sein, wie wir von Illouz gelernt haben. Sie darf ihre Partner*in zwar frei wählen, Schluss machen oder eine Freundschaft mit gewissen Vorzügen führen, dafür wird sie aber sexuell objektifiziert und ihre Talente werden unterschätzt. Mit der gewonnen Freiheit, kommt also eine neue Einschränkung hinzu. In einem Interview meint Illouz trotzdem:

 

„Ich wollte zu keiner anderen Zeit leben, aber der Kapitalismus belastet uns und versetzt uns in eine extrem durchorganisierte, berechnende Welt.“

 

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Fazit:

 

Es ist also normal, dass dir Dating-Apps so einen Spaß machen. Bestimmt lassen sich einige Probleme, die in vielen Beziehungen auftreten, von einem gesellschaftlichen Wandel erklären. Trotzdem sollten wir unsere Beziehungen so ausleben, wie es sich für uns richtig anfühlt. Wenn die Alternative eine Zeitreise zurück in das 19. Jahrhundert ist, wo man von der Gesellschaft ausgestoßen wurde, wenn eine Ehe scheitert, dann ist Freiheit vielleicht doch mehr wert als Orientierung.

 

 

 

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Fotos:

Bild von Bella H. auf Pixabay

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Foto von Vincent M.A. Janssen: https://www.pexels.com/de-de/foto/person-die-pokemon-ball-toy-halt-1310847/

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